Belecke wird preußisch
Lange währte die hessische Zeit nicht. Schon am 13. Juli 1816 gelangte Belecke nach Niederlage der Franzosen in der Völkerschlacht von Leipzig – an der auch zwei Freiwillige aus Belecke zusammen mit einigen Männern aus Hirschberg in Form einer „compagnie Wehrmänner“ teilnahmen (18. Oktober 1813) – durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses zur Neuordnung Europas mit den übrigen Gebieten des vormaligen Herzogtums Westfalen rechtlich endgültig an das Königreich Preußen. Faktisch war es diesem bereits im Juni 1815 einverleibt worden war. Zahlreiche wirtschaftliche Entwicklungen und politische Reformen wurden nun angegangen. So wurde von 1823 bis 1826 die Verbindungsstraße Meschede-Belecke-Lippstadt errichtet.
Im Jahre 1828 erhielt Belecke ein eigenes Postamt, welches von der Deutschen Post AG im Jahre 1999 geschlossen und in einem Lebensmittelmarkt in Belecke integriert wurde. Im Jahre 1829 gründete der Gewerker Linnhoff im Westertal mit einer Drahtzieherei den ersten Belecker Industriebetrieb, die spätere Westfälische Union. Von 1849 bis 1853 wurde die Möhnestraße als Verbindungsstraße Neheim-Belecke-Brilon gebaut. Auf politischem Sektor wurde schon 1819 nach einem kurzen Intermezzo beim Kreis Soest unsere Heimatstadt mit dem Kreis Arnsberg vereinigt, wo sie bis zur kommunalen Neuordnung 1975 verblieb. Im Jahre 1844 wurde das Amt Warstein gegründet, im Jahre 1856 dann die preußische Landgemeindeordnung eingeführt, die ein erster Schritt auf dem Wege zur modernen Kommunalverfassung war. In kirchlicher Hinsicht kam Belecke mit dem gesamten kurkölnischen Sauerland aufgrund der päpstlichen Bulle „De salute animarum“ vom 16. Juli 1821 nach jahrhundertelanger Zugehörigkeit zum Erzbistum Köln im Rahmen der Neuordnung der preußischen Diözesen zum Bistum Paderborn (Erziehung seit 1930) – ein damals durchaus schmerzlicher Einschnitt, der von nicht wenigen abgelehnt wurde.
Im Jahre 1866 brach der Deutsch-österreichische Bruderkrieg aus, in dem die Stadt Belecke bei Königgrätz einen ihrer Söhne verlor. Vier Jahre später waren es schon drei Söhne, die im Deutsch-Französischen Krieg auf den Schlachtfeldern blieben, um die Einheit Deutschlands zu verwirklichen. Die Einigung des Reiches 1871 brachte den deutschen Katholiken trotz ihres nicht minderen Patriotismus zunächst viel Leid. Es brach der sog. Kulturkampf aus, der vor allem von Reichskanzler Bismarck und Kultusminister Falk, beides Protestanten, gegen die katholische Kirche und damit gegen die Gläubigen schlechthin von 1871 bis zu den Friedensgesetzen der Jahre 1886 und 1887 geführt wurde. Kein Geistlicher sollte mehr ohne Zustimmung der zuständigen preußischen Behörden vom Bischof eingesetzt werden können. Die Belecker Pfarrstelle bleib daher von 1876 bis 1886 vakant. Der Paderborner Bischof und der Kölner Erzbischof wurden sogar durch den Staat abgesetzt. Der Einfluss der katholischen Kirche im staatlichen Bereich sollte stark zurückgedrängt werden. Die deutsche Zivilehe, anders als etwa in Österreich Voraussetzung der kirchlichen Trauung, ist ein Relikt dieser Zeit. In Belecke verflog vor diesem Hintergrund schnell die wilhelminische Begeisterung, die erst nach 1886/87 wieder auflebte.
Im Jahre 1883, also vor genau 150 Jahren, wurde die Eisenbahnstrecke Warstein-Belecke-Lippstadt eröffnet. Hinzu kamen 1898 die Fertigstellung der Eisenbahnstrecke Belecke-Brilon und über die Westfälische Landeseisenbahn ein Jahr später die Eisenbahnstrecke Belecke-Soest. Unsere Stadt hatte sich innerhalb kurzer Zeit zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt für den Güter- und Personentransport sowohl auf der Schiene als auch auf der immer wichtiger werdenden Straße entwickelt.
Durch ministeriellen Beschluss wurde am 1. Juli 1905 die „amtliche“ Schreibweise des Stadtnamens festgelegt auf BELECKE. Zuvor war es immer wieder einmal „Beleke“ geschrieben worden, selbst in dem oben zitierten Lexikon. Im ordnungsliebenden preußischen Deutschland war dieses Durcheinander nicht hinnehmbar, und schnell setzte sich die neue Schreibweise durch. Ein Streitpunkt war aber noch das offizielle Stadtwappen. Es gab verschiedene, teilweise recht deftige „Versionen“:
Kaiser Wilhelm II. höchstselbst genehmigte daher am 8. Januar 1912 das von A. Sachs gestaltete und heute noch gültige Stadtwappen. Es zeigt den Hl. Pankratius als Stadtpatron und zugleich Patron der altehrwürdigen Pfarrpropstei Belecke, deren erster Pfarrpropst für das Jahr 1243/44 nachgewiesen ist. In Silber wächst dort das Brustschild des rot gekleideten Heiligen mit blauem Mantel, goldenem Nimbus (=Heiligenschein) und grünem Lorbeerkranz auf dem Haupt. Mit der rechten Hand wird ein gesenktes silbernes Schwert mit goldenem Griff gehalten. Die dreitürmige Stadtmauer nebst Stadttor symbolisiert die auf das Jahr der Stadtrechtsverleihung 1296 zurückgehende und letztlich bis zum 31. Dezember 1974 währende städtische Unabhängigkeit Beleckes. Der Hl. Pankratius ist ein legendärer heiliger, dessen Vita aus den 1643 erstellten „Acta sanctorum“ entnommen werden kann. Danach war er der einzige Sohn seiner Eltern Kleonios und Synnada und lebte um 300 n. Chr., nach anderen Quellen ca. 50 Jahre früher. Der Hl. Pankratius erlitt in noch jugendlichem Alter das Martyrium im Circus Maximus durch einen Panther, nachdem er zuvor vor dem römischen Kaiser seinen Glauben standhaft verteidigt und danach zur Verwunderung der pöbelnden Massen sogar einen kräftigen wilden Stier todesmutig besänftigt hatte. Der Hl. Pankratius, dessen Verehrung in Westfalen ab etwa 822 von Kloster Corvey aus ihren Siegeszug antrat, ist seit 1087 Patron der Belecker Kirche und dürfte mit der Stadtgründung 1296 zum Stadtpatron erhoben worden sein.
Zurück zur Belecker Stadtgeschichte: Die großen und schönen Friedensjahre, die 1911 noch die Gründung der heutigen Siepmann-Werke und die ein Jahr später der Bürgerschützengesellschaft eine prächtige 200-Jahr-Feier mit sich brachten, wurden auch im kaiserlichen Belecke genossen.
Sie unterbrach jäh der Erste Weltkrieg, dessen Ausbruch mit heute nicht mehr nachvollziehbarer Begeisterung im ganzen Deutschen Reich, auch in Belecke, bejubelt wurde. Ein „Spaziergang nach Frankreich“ sollte es werden – wie hatte man sich getäuscht! Zahlreiche Belecker Männer wurden eingezogen. Insgesamt 63 kehrten nicht zurück. Die Heimatfront blieb von unmittelbaren Kriegshandlungen verschont. Allerdings diente die 1899 errichtete Schützenhalle zeitweise als Gefangenenlager. Mittelbar aber waren auch in Belecke die Auswirkungen zu verspüren, denn selbst auf dem Land wurden die Lebensmittel knapp. Die Preise stiegen nahezu ins Unermessliche. Den Ehefrauen der im Felde stehenden Soldaten zahlte der Staat nur eine geringe Unterstützung, so dass gerade in Familien mit vielen Kindern zeitweise regelrecht Hunger herrschte. Hinzu kam das Übel das Schwarzhandels und als weitere „Belastung“ die Hamsterer aus den Großstädten, die ins Sauerland kamen, um der bei ihnen noch größerer Not zu entfliehen. Man half zwar gerne, doch ist in alten Berichten auch von bitteren Diebstählen zu lesen.
Das Jahr 1918 brachte das Ende des Krieges mit der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches. Der deutsche Kaiser dankte unter Thronverzicht der Hohenzollern ab und verließ das Reich. Er ging nach Holland ins Exil. Große politische Unruhen erschütterten Deutschland, die politische Zukunft war ungewiss. Doch spielten sich diese Umbrüche in den großstädtischen Zentren, vor allem in der Reichshauptstadt Berlin ab, während es in unserer Stadt – von einem unterschwelligen Rumoren einmal abgesehen – keine überlieferten Parallelen gibt. Man war im Sauerland sicherlich nicht uninteressiert, allerdings wogen die alltäglichen Sorgen des Überlebens schwerer. Und Einfluss hätte man ohnehin nicht nehmen können. Die Gründung der Republik im Jahre 1919 wurde eher teilnahmslos zur Kenntnis genommen.